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Geschichtsbaum

Übergabe des Geschichtsbaums an die Öffentlichkeit

Ich freue mich, Ihnen heute das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit präsentieren zu können, den Geschichtsbaum zu dem Themenkreis Vertragsarbeiter in Eberswalde mit dem besonderen Fokus auf Amadeu Antonio.

Ausgangspunkt waren die Forderungen der Initiative Light me Amadeu nach einem zeitgemäßen Gedenken und das lange Schweigen der Stadtpolitik.

Die Bürgerstiftung Barnim Uckermark hatte sich per Vorstandsbeschluss im Herbst 2020 bereit erklärt, dieses Anliegen praktisch zu unterstützen.

Es entstand gemeinsam mit Vertreter:innen der SPD Fraktion und der Fraktion „die Linke“ die Idee eines Geschichtsbaums, wie er bereits in anderen Stadtteilen zu finden ist, was noch mal mehr zeigt, wie bedeutsam die hier beschriebenen Ereignisse für die neuere Geschichte und Prägung unserer Stadt sind.

Die Eberswalder Stadtverordneten haben mit großer Mehrheit dieses Vorhaben befürwortet. So konnte die Arbeit beginnen.

Als ehemalige Ausländerbeauftragte und Zeitzeugin habe ich ganz viele meiner Erfahrungen einbringen können. Katharina Walter, Stadtverordnete der Linken, hat mir bei dieser Arbeit sehr geholfen. Gemeinsam haben wir z.B. an den Formulierungen gefeilt und uns mit unterschiedlichen Retrospektiven auf die historischen Ereignisse auseinander gesetzt. Ich habe mir daneben auch Expertise von der Wissenschaft geholt und mich außerdem mit einem Verantwortlichen ausgetauscht, der im Auftrag der Regierung Vertragsarbeiter:innen in die DDR geholt hat. Aber vor allem haben die Betroffenen selbst mit ihren Erfahrungen und Erlebnissen zu der Darstellung beigetragen.

 

Gehen wir zurück ins Eberswalde von 1987:

  • Mehr als 100 angolanische Männer kommen nach Eberswalde, um im damaligen SVKE zu arbeiten.
  • Sie gehören zu den vielen Vertragsarbeiter:innen aus verschiedenen Ländern, die zum Zweck der Arbeitsaufnahme in die DDR und damit auch nach EW kommen.
  • Sie wohnen alle gemeinsam im Ledigenwohnheim.
  • Bei der Recherche wurde mir klar, wie unterschiedlich die damaligen Bedingungen heute bewertet werden, von sozialistischer Hilfe und Wissenstransfer bis zu prekären Verhältnissen gehen die von mir eingeholten Aussagen.
  • Nur zwei Fakten möchte ich erwähnen, die aber einiges deutlich machen.
    • Eine vorherige Aufklärung über die möglichen Einsatzbereiche in der DDR scheint nicht in jedem Fall gelungen zu sein. Viele erhofften sich, hier studieren zu können und arbeiteten dann z.B. in Britz am Fließband.
    • Alle mussten ihre Reisepässe abgeben.
  • Eberswalde war 1987 etwas bunter geworden, nicht zuletzt durch die farbenfrohe Kleidung der neu Zugereisten und deren jugendliche Lebensfreude.
  • Es war aber auch damals für diese Menschen schwierig, nach Feierabend die Freizeit mit Einheimischen zu verbringen. Der Hüttengasthof wurde deshalb zu einem beliebten Treffpunkt und ein Glücksfall, der Wirt zum guten Freund.
  • Und viele Angolaner fanden in der Neuapostolischen Gemeinde in Finow eine geistliche Heimat. Ansonsten blieb man oft unter sich.

 

  • Dann kam 1989 die politische Wende, die für viele Vertragsarbeiter:innen große Probleme mit sich brachte. Sie waren oft die ersten, die ihre Arbeit verloren. Viele gingen – nicht ganz freiwillig – zurück in ihre Heimatländer, und verloren damit auch noch ihre Rentenansprüche.
  • Und auf einmal tönten ab 1990 ganz laut die Sprüche, von „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus!“
  • Und es kam noch schlimmer, Amadeu Antonio wurde im November 1990 von Neonazis so malträtiert und geschlagen, dass er am 6. Dezember 1990 an den Folgen seiner Verletzungen verstarb.
  • Das war für die schwarzen Menschen in unserer Stadt eine Zäsur, sie konnten sich nicht mehr sicher fühlen, sich nicht mehr frei bewegen.
  • Ich habe im September 1991 als Ausländerbeauftragte angefangen und es war anfangs nicht leicht, Vertrauen zu ihnen aufzubauen. Zu schwer waren die traumatischen Erlebnisse.
  • Der rechte Mob tobte weiter, es kam zu weiteren Angriffen auf Angolaner und Mosambikaner und deren Partnerinnen.
  • Die Polizei rückte aus, weil die Afrikaner, die natürlich zusammen rückten, angeblich zu laut waren. Sie kam gleich mit einem Mannschaftswagen in die Ruhlaer Straße.
  • Das haben Moises Mvuama, einer der aktivsten Angolaner zu der Zeit, und ich bei Gesprächen mit der Schutzbereichsleitung der Polizei angesprochen und es wurde besser.
  • Uta Leichsenring als damalige Polizeipräsidentin war unseren Anliegen gegenüber auch sehr zugewandt.

Aber noch mal zurück:

  • Als eine Eberswalderin, die mit ihrem angolanischen Freund dort in der Altstadt wohnte, von Nazis überfallen und geschlagen wurde, dauerte es wesentlich länger, bis die Staatsmacht eingriff und es dauerte ca. 9 Jahre, bis es danach zu einer Gerichtsverhandlung kam. Natürlich konnten die Täter dann nicht mehr eindeutig identifiziert werden.
  • Ich erinnere mich auch noch an einen Samstag, als wir in Jone Munjungas Wohnung saßen, weil wieder ein Überfall zu befürchten war und wir hatten kein Telefon zur Verfügung, um ggf. Hilfe zu holen.

Mit der Gründung des Afrikanischen Kulturvereins  „Palanca“ e.V. 1994 wurde es etwas leichter.

Die Betroffenen hatten endlich Räume für sich und ihre Familien im Rofin Park gefunden.

Einige erhielten die Möglichkeit, in unseren Schulen über ihr Leben und ihre Arbeit zu berichten. Einheimische Kinder kamen zu den Trommel-und Tanzworkshops des Vereins.

Und dann ein schlimmer Rückschlag für den Verein und für unsere gemeinsame Arbeit, durch Brandstiftung wurden am 21. März 2000 die Vereinsräume samt allem Inventar zerstört. Aber es war auch großartig, wie die Stadt und ihre Menschen halfen und Solidarität zeigten.

Allerdings mussten viele Afrikaner mit ihren Familien Eberswalde verlassen, weil sie hier einfach keine Arbeit fanden. Viele wohnen und arbeiten heute in Berlin.

 

Der In-und AusländerInnenkreis Eberswalde entstand noch früher als der Afrikanische Kulturverein Palanca e.V. und initiierte gemeinsam mit Palanca die Gedenkveranstaltungen, die dann jährlich stattfanden und setzte sich für eine Gedenktafel ein.

Die Stadt selbst kam aus ihrer Defensivhaltung heraus und engagiert sich bis heute für Weltoffenheit und gegen Rassismus.

Mit dem Amadeu Antonio Haus mitten im Herzen der Stadt, dessen Namen natürlich  Programm sein muss, ist ein Ort entstanden, der ganz viel davon aufgreift. Dort gibt es u.a. jeden Donnerstag mit dem Sprachcafé einen Treffpunkt für Einheimische und Zugewanderte, ob Studierende, Geflüchtete oder andere. Dienstags gibt es einen internationalen Frauentreff. Beides wird von der Bürgerstiftung organisiert.

Natürlich bleibt noch immer viel zu tun. Rassistisches Denken scheint nicht auszusterben.

Und es gibt auch nach wie vor Kritik. Aber das gehört zur Demokratie dazu.

 

Die junge Generation wird sich ihren eigenen Zugang zu den Geschehnissen und den daraus zu ziehenden Lehren erarbeiten müssen. Mit dem Geschichtsbaum und seinen Informationen ist dafür eine gute Grundlage gegeben.

 

Marieta Böttger

Vorstandsvorsitzende

Anmerkung:

Der Geschichtsbaum befindet sich ganz in der Nähe des Tatortes. Er umfasst sechs Tafeln mit Informationen zu/zum

  1. Hüttengasthof (Historisches und zur Rolle des Gasthofes für die Afrikaner)
  2. Vertragsabeiter:innen in der DDR
  3. Amadeu Antonio
  4. Tatablauf
  5. Gedenktafel, die seit 1995/96 an das Geschehen erinnert
  6. ehemaligen Außenlager des KZ Ravensbrück in Eberswalde, das sich in der NS-Zeit in der Nähe befand